Cover
Titel
Nützliche Leichen. Monarchenbegräbnisse in Bayern und Belgien 1825–1935


Autor(en)
Zedler, Jörg
Reihe
Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften (109)
Erschienen
Göttingen 2022: Vandenhoeck & Ruprecht
Anzahl Seiten
559 S.
Preis
€ 75,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Kay Schmücking, Institut für Geschichte, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

Wie überdauert die Monarchie den Tod des Monarchen? Dieser Frage widmet sich Jörg Zedler in seiner Studie über Monarchenbegräbnisse in Bayern und Belgien, die als Habilitationsschrift an der Universität Regensburg entstanden ist und nun in der Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften veröffentlicht wurde. Zedlers Betrachtungen liegen zunächst zwei wesentliche und einleuchtende Ausgangsannahmen zugrunde: Zum einen seien die europäischen Monarchien nach 1789 im Grunde fragile Ordnungen gewesen, deren Fortbestehen dauerhaft gesichert und revitalisiert werden musste. Zum anderen sei den Monarchen eine zentrale Funktion bei der „Verkörperung nationaler Einheit“ zugekommen (S. 10). Als „Anker der Selbstvergewisserung“ (S. 11) hätten Sie damit einen wesentlichen Stabilitätsfaktor für die staatliche Ordnung verkörpert, der nicht zuletzt in den vielfältigen Formen symbolischer Politik seinen nach außen sichtbaren und für die Gesellschaft wahrnehmbaren Ausdruck gefunden habe. Vor diesem Hintergrund hätte sich aus dem nicht selten unerwarteten, immer aber krisenbehafteten Moment des Monarchentodes eine politisch und gesellschaftlich zu bewältigende „Umbruchsituation“ (S. 41) ergeben. Der Staat habe sich diesem Moment wiederum nicht hilflos ausgesetzt, sondern die damit verbundenen Begräbnisrituale vielmehr, so lautet Zedlers zentrale und bereits im Titel anklingende These, gezielt genutzt, um daraus eine festigende und integrierende Wirkung auf die staatliche Ordnung zu entwickeln. Den rituellen und zeremoniellen Umgang mit den toten Monarchen betrachtet er darum als „gesellschaftlichen Repräsentationsakt“ und „Selbstvergewisserung der Lebenden“ (S. 43), die sich weit über den Herrschertod hinaus als stabilisierender Faktor für die Monarchie erwiesen hätten.

Um der vielversprechenden Frage nach der Gestaltung und Bedeutung der Begräbnisrituale nachzugehen, kombiniert Zedler verschiedene Methoden aus dem Feld der politischen Kultur-, Monarchie-, Geschlechter-, Medien- und Bildgeschichte. In seiner Studie entwickelt sich daraus eine methodisch und inhaltlich komplexe Ritualanalyse, mit der es ihm gelingt, nicht nur die facettenreichen und vielschichtigen zeremoniellen Abläufe, sondern darüber hinaus auch deren öffentliche Inszenierung und Rezeptionsbedingungen in beeindruckender Breite zu erfassen. Seine nicht weniger umsichtige und breitgefächerte Quellenauswahl erlaubt ihm eine detailreiche und plastische Darstellung der Ereignisse. Neben den für das Thema naheliegenden Überlieferungen staatlicher Institutionen, die unmittelbar in die Planung und Durchführung der Beisetzungen involviert waren, und den dynastischen Hausarchiven berücksichtigt er dafür außerdem nicht weniger umfassend die Beiträge der Tages- und Illustriertenpresse, Bildarchive und Quellen aus dem diplomatischen Umfeld. Hier spiegelt sich schließlich auch Zedlers transnationales Forschungsinteresse wider: Mit Bayern und Belgien untersucht er zwei geographische Räume, die sowohl ein nationales Selbstverständnis besessen hätten als auch „strukturelle Ähnlichkeiten und Probleme“ aufwiesen, die eine Betrachtung von „Konstanten, Unterschieden oder Transferleistungen in der Inszenierung symbolischer Politik“ (S. 25) lohnenswert erscheinen lassen. Seine transnationale Forschungsperspektive mündet jedoch nicht in dem Ziel, einen systematischen Vergleich anzustellen oder gar eine bayerisch-belgische Beziehungsgeschichte zu schreiben, sondern stattdessen die „Inszenierung und Wahrnehmung feierlicher Begräbnisse solcher europäischer Staaten in den Blick zu nehmen, deren machtpolitischen Bewegungsspielräumen enge Grenzen gesetzt waren.“ (S. 25)

Seine in vier thematische Einzelkapitel gegliederte Darstellung beginnt Zedler zunächst mit einem konzisen Abriss der institutionellen und organisatorischen Rahmenbedingungen der Monarchenbeisetzungen, um anschließend in eine umfängliche Analyse der Bestattungsrituale überzugehen. Hier konzentriert er sich nicht allein darauf, die Abläufe detailliert zu rekonstruieren, sondern betrachtet vor allem das für die gesamte Ausgestaltung prägende Beziehungsgefüge aus staatlichen und höfischen Akteuren sowie der medialen und ausländischen Öffentlichkeit. Exemplarisch stützt etwa seine Beschreibung des arbeitsteiligen Verhältnisses zwischen Staat und Hof die These von der ordnungsstabilisierenden Wirkung des Zeremoniells: Während das „Prozedere rund um Monarchenbegräbnisse nur zum kleineren Teil eine höfische Angelegenheit“ gewesen sei, hätte die „politische Federführung“ (S. 74f.) vorwiegend in den Händen der staatlichen Institutionen gelegen. Diese hätten schließlich auch nicht davor zurückgeschreckt, die testamentarischen Verfügungen des Monarchen zu übergehen. So illustriert er am Beispiel der Beisetzungen von Leopold II. von Belgien und Luitpold von Bayern anschaulich, dass die Regierungen deren Wünsche nach einer möglichst stillen und schlichten Beisetzung ignorierten, weil sie angesichts der innenpolitischen Verhältnisse nicht glaubten, „auf das öffentliche Spektakel verzichten zu können“. (S. 105)

Darauf aufbauend widmet sich Zedler einer hermeneutischen Analyse der öffentlich in Umlauf gebrachten Deutungs- und Sinnstiftungsversuche des Monarchentodes. Schwerpunktmäßig ergründet er hier die Narrative „des guten Todes“ und kann deren nicht selten außerordentlich konstruierten Charakter aufzeigen. Das häufig schmerz- und leidvolle oder von familiären Konflikten überschattete Ableben des Monarchen habe dabei kaum Platz in den zumeist romantisierten Darstellungen gefunden. Grundsätzlich bekräftigt er auch in diesem Zusammenhang seine Kernthese der Stabilisierung der monarchischen Ordnung, indem er aufzeigt, dass es in der „Rede über den Verstorbenen weniger um diesen als Person als vor allem um seine Stellung und seine Funktion innerhalb des politisch-gesellschaftlichen Systems ging.“ (S. 450)

Neben den ritualhistorischen und hermeneutischen Analysen legt Zedler in seinem Kapitel über die „Bilder vom Tod“ einen weiteren Schwerpunkt auf die Untersuchung der visuellen Inszenierungen des Monarchentodes. Dafür knüpft er an einschlägige Forschungen zur Visual History und Bildakttheorie an und demonstriert zugleich seinen eigenen präzisen Blick für ikonographische Entwicklungen und Wandlungen. Als besonders einprägsam erweist sich etwa der Nachweis visueller Anleihen der Totenbilder bei der Christusdarstellung Hans Holbeins des Jüngeren. Im Zusammenspiel mit der Betrachtung medialer Verbreitungsstrukturen offenbart das Kapitel noch einmal eindrücklich den innovativen Gehalt der Studie, die weit über eine reine monarchie- und politikgeschichtliche Arbeit hinausgeht und für mehrere historische Teildisziplinen fruchtbare Erkenntnisse bereithält. Sein multiperspektivischer Anspruch zeigt sich auch daran, dass Zedler in seiner Untersuchung durchgängig nicht allein die Könige, sondern darüber hinaus auch die Königinnen in den Blick nimmt. Hierbei kann er die geschlechterspezifischen Unterschiede sowie die damit einhergehenden oftmals anders gelagerten Rollenverständnisse, die sich letztlich auch unmittelbar in den Beisetzungsritualen widerspiegelten, herausarbeiten.

Insgesamt präsentiert Zedler im Laufe der Darstellung zahlreiche profund recherchierte und überzeugend vorgebrachte Einzelbefunde, die an dieser Stelle in ihrer gesamten Fülle kaum angemessen wiedergegeben werden können. Sie kommen in der abschließenden systematisierenden Zusammenfassung und Einordnung der Erkenntnisse noch einmal gebündelt zum Vorschein. Zentral scheint schließlich der von ihm erbrachte Nachweis, dass die Monarchenbegräbnisse keinem reinen Selbstzweck oder allein dem öffentlichen Ausdruck von Trauer dienten, sondern vielmehr sehr kalkuliert als Herrschaftsressource genutzt wurden. Die Toten hätten sich in dieser Hinsicht zwar für mehrere Akteure – für den Hof genauso wie für die Bevölkerung und Presse – als „nützlich“ erwiesen, seien aber letztlich zuvorderst für die breitenwirksame Inszenierung der bestehenden staatlichen und gesellschaftlichen Ordnung attraktiv gewesen. So gelangt er zu dem Schluss, dass die aufwendig arrangierten Rituale „ein primär nach innen gerichteter Akt der Integration“ gewesen seien, „der primär staatlich-politische, nicht dynastisch-höfische Züge“ (S. 469) aufgewiesen hätte.

Zedler hat damit eine klug konzipierte und strukturierte, kenntnisreiche und überdies gut lesbare Studie verfasst, die gleichwohl kleinere Schwächen aufweist. So erscheint sein transnationales Forschungsdesign zwar grundsätzlich vielversprechend, aber warum die Wahl ausgerechnet auf Bayern und Belgien als Untersuchungsgegenstände fiel, wird von ihm eingangs nur teilweise überzeugend begründet. Auch im weiteren Verlauf deutet sich stellenweise ein Ungleichgewicht an, bei dem die Betrachtung Belgiens gegenüber der ausführlichen Beschreibung der bayerischen Entwicklungen in den Hintergrund tritt. Auch wenn Zedlers erklärtes Ziel gerade nicht darin besteht, beide Fallbeispiele einem systematischen Vergleich zu unterziehen, so wäre doch zumindest eine intensivere und vergleichende Einordnung der jeweiligen nationalen Einzelbefunde an mancher Stelle lohnenswert gewesen. Problematisch erscheint darüber hinaus sein Versuch, mit Blick auf die Wirkung der Rituale auf die Medien und mithin auf die Bevölkerung zu klären, „inwieweit der äußere Schein (die Teilnahme) mit der inneren Haltung übereinstimmte.“ (S. 51) Auch wenn er diesen kaum einlösbaren Anspruch zwar sogleich relativiert und berechtigterweise auf die „meinungsbildende Kraft der Medien“ (S. 51) verweist, trennt Zedler im Laufe seiner Untersuchung nicht immer hinreichend und präzise zwischen den auf der Grundlage der Quellen durchaus gut rekonstruierbaren Intentionen der beteiligten Akteure und der wiederum kaum valide zu erfassenden individuellen Wahrnehmung der zeremoniellen Rituale. Hier wäre an mancher Stelle eine differenziertere Darstellung der eigenen Befunde wünschenswert gewesen. Diese Einwände schmälern letztlich aber nicht den grundsätzlich positiven Eindruck einer Studie, die nicht zuletzt auch ein gelungenes Beispiel für innovative landesgeschichtliche Forschung darstellt und überdies Impulse für viele weitere historische Teildisziplinen verspricht.

Redaktion
Veröffentlicht am
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension